Die Alpenüberquerung von Oberstdorf nach Meran ist in meinen Augen ein Muss für Wander- und Alpenfans. Die Dichte an tollen Erlebnissen, Regionen die man durchläuft und Wandergenuss  ist nahezu unübertreffbar. Vom Allgäu ins Lechtal, weiter ins Ötztal und schließlich nach Südtirol, zeigen sich die Alpen hier von ihrer schönsten Seite. Entweder klassisch mit Hüttenübernachtungen oder in der Komfortvariante mit Gasthöfen und Hotels. Eine wunderschöne mehrtägige Wanderung, die ich so schnell nicht vergessen werde.

1 Tag: Von Oberstdorf nach Spielmannsau und Holzgau

Aufstieg: 980 Hm – Abstieg: 870 Hm / Gesamt 5,5h

Ein allzu großes Abenteuer hatte ich nicht erwartet – Ich wollte einfach abschalten und die Natur genießen. Deshalb wählte ich die Komfort-Variante mit genügend Zeit zum ausspannen. Die Gruppe war dahingehend erstmal zweitrangig. Aber da stand ich nun in Oberstdorf schaute auf meine Wander-Gruppe. Von 18 bis 70 Jahren Alter war alles vertreten. So ein bunter Haufen will über die Alpen? Das kann doch nur schiefgehen. Nun ja, es sollte anders kommen. 7 Tage voller guter Gespräche, überwältigender Natur und toller Erlebnisse haben dazu geführt, dass die Alpenüberquerung nicht zu den anspruchsvollsten Touren meines Lebens gehört aber definitiv zu den schönsten, intensivsten und abwechslungsreichsten.

Die ersten Höhenmeter zur Kemptner Hütte.

Nachdem wir über ein wunderschönes, schmales Bergtal die Kemptner Hütte (1.844m) erreicht haben, geht es über das Mädelejoch hinab nach Holzgau. Wie jeder erste Tag in den Bergen läuft mein Körper sich warm und muss sich an das Bergsteigen gewöhnen. Eine ältere Dame schwächelt leicht und ist durch den Aufstieg bereits an ihre Grenzen gestoßen. Sie wird uns am Abend verlassen und die Tour abbrechen. Der Rest lässt sich nicht beirren – wir teilen uns in zwei Gruppen auf und wandern die letzten Kilometer getrennt. So erreichen wir das kleine Dörfchen Holzgau über eine lange Hängebrücke. Da ich nicht ganz schwindelfrei bin ist die Tour bereits hier ein Abenteuer für mich. So schnell kann es gehen.

Die lange Hängebrücke bei Holzgau erfordert starke Nerven – zumindest für mich.

2. Tag: Von Holzgau übers Kaisertal nach Zams

Aufstieg: 730 Hm – Abstieg: 1130 Hm / Gesamt: 5,5h

Heute geht es ein kurzes Stück mit dem Bus ins Kaisertal. Bei strahlendem Sonnenschein starten wir unseren Aufstieg zum Kaiserjochhaus (2.310m). Es ist mühselig und steil, aber es fällt mir schon wesentlich leichter, die Höhenmeter zu überwinden, als am ersten Tag. Wieder merken wir, dass wir mit Ende Juni eine der ersten Gruppen sind, die sich der Alpenüberquerung zu Fuß stellen. Laut unserem Bergführer trifft man hier bereits wenige Wochen später auf zahlreiche Wandergruppen.

Am Kaiserjochhaus angekommen bleibt unser erhofftes Mittagessen aus: Die Hütte öffnet ihre Türen dieses Jahr später als erwatet. Überall sind noch kleine Schneefelder. Ob es daran liegt? Es ist windig und kühl – ganz anders als im warmen Tal. Der Juni macht sich bemerkbar und wir schnuppern das erste mal die raue Gebirgsluft. Mit leeren Mägen geht es nochmal gute 2,5h hinab ins Tal nach Pettneu und weiter mit dem Linienbus in den Gasthof des beschaulichen Städtchens Zams – unser Quartier für heute Abend.

Das herrlich Panorama kurz unterhalb der Kaiserjochhütte.

3. Tag: Von Zams nach Mittelberg

Aufstieg: 250 Hm – Abstieg: 1250 Hm / ca. 4,5 Std.

Bei Nebel und leichtem Nieselregen fahren wir am frühen Morgen mit der Venet Seilbahn hinauf zum Krahberg auf 2.208m. Leicht bergab geht es entlang der Bergkette zur Gogles/ Gaflunalm, wo wir ein herrlichen Kaiserschmarn bekommen. Die Hütte ist klein und beschaulich. Im Ofen knistert ein Feuerchen. Genau das Richtige, um sich aufzuwärmen.

Nebel hüllt uns ein, als wir die Venetbahn verlassen (im Hintergrund die Station).

Es geht weiter hinab ins Pitztal. Zutrauliche Kühe kreuzen unseren Weg. Wir lachen viel und so langsam erfreut sich unsere Gruppe eines festen Zusammenhaltes. Immer wieder unterhalte ich mich mit anderen Gruppenteilnehmern über ihr Leben, ihre Ideen und ihre Beweggründe diese Tour zu laufen. Und immer wieder höre ich die Worte “Zusammenhalt” und “Pause vom Alltag”. Die meisten kommen zu zweit, und wollen während der Wanderung mehr Zeit miteinander verbringen. Etwas erleben. Es ist egal auf wen man trifft, der Weg verbindet uns alle. Den zunehmenden Regen bemerke ich kaum noch. Und so erreichen wir trotz Nässe, gut gelaunt und nach nur knapp 4,5 das Pitztal und fahren das letzte Stück mit dem Bus nach Mittelberg.

Unsere ständigen Begleiter im Nebel: Die zutraulichen Kühe.

4. Tag: Von Mittelberg nach Vent

Aufstieg: 1450 Hm (ohne Gletscherbahn) – Abstieg: 1510 Hm (oberer Panoramaweg) (Gesamt 4 Std.).

Heute geht es über den Mittelbergferner zur Braunschweiger Hütte (2.759m).  Der Weg gewinnt schnell an Steilheit und kreuzt mitunter breite Pistenwege. Immer wieder müssen wir kleinere Kletterstellen überwinden und werden dafür mit atemberaubenden Ausblicken belohnt. 

Drahtseile weisen uns den Weg hinauf zur Braunschweiger Hütte

Kurz vor der Braunschweiger Hütte haben Schneekontakt. Stück für Stück stapfen wir durch das kühle Weiß hinauf zum Rettenbachjoch (3000m). Es ist in meinen Augen die die schwierigste und anspruchsvollste Stelle während der gesamten Alpenüberquerung. Nebel und leichter Schneefall rauben uns die Sicht. Drahtseile und Markierungen weisen uns den Weg entlang des mitunter steil abfallenden Pfades.

Schneekontakt kurz unterhalb der Braunschweiger Hütte

Schwitzend und konzentriert stehen wir plötzlich vor einem Skilift. raußgerissen aus dem ebigen Bergerlebnis am Fels präsentiert sich hier die Zivilisation in ihrer ganzen Stärke – und das ausgerechnet am höchsten Punkt unserer Tour – dem Rettenbachjoch auf 3.000m. Wir steigen über die markierte und leere Schneepiste hinab zum  Rettenbachferner  und laufen über den mittleren  Panoramaweg nach Vent. (möglicherweise war es auch der obere, Sorry. Bin mir nicht ganz sicher)

Kurz vor der kleinen Kletterpassage zum Rettenbachjoch.

Der Weg ist verrückt und lang. Die Länge ist nicht schlimm, aber die vielen Seilbahnen bei Sölden wirken auf mich befremdlich  – irgendwie verrückt, wie sie sich durch die Landschaft graben.  Gut oder schlecht? Ich weiß es nicht. 

Glückliche Gesichter auf dem mittleren Panoramaweg nach Vent.

Es ist vielleicht der seltsamste Teil der gesamten Wanderung aber auch der enspannteste. Durch den Regen haben Wald und Wiese kräftige Farben angenommen und der Duft der Natur ist überall. Ein letztes Stück Weg fahren wir mit dem Bus nach Vent und finden uns in einem wunderschönen Hotel bei lokaler Küche wieder.

5. Tag: Von Vent zur Martin Busch Hütte (2501 m) und Similaunhütte (3019 m)

Aufstieg: 1.129m Hm – Abstieg: kein (Gesamt 4h)

Auf dieser sehr kurzen Etappe starten wir direkt in Vent und wandern geradewegs auf die Martin-Busch Hütte zu – auch wenn wir sie nicht sehen können. Gute 10 Kilometer zieht sich der Weg bergauf durch ein fantastisches Bergtal mit Blick auf die umliegenden 3.000er. Nach jeder Kehre die wir machen, glaubt man nun endlich die Martin-Busch-Hütte zu sehen. Aber sie hält sich versteckt, bis zur allerletzten Wegbiegung. Dort erwartet uns am Wegesrand ein Schild mit der Aufschrift: „Hier letzter Handy-Empfang“. Und tatsächlich, wenige Meter weiter ist das Telefon quasi tot. 

Nach der letzten Wegbiegung können wir sie endlich sehen: Die Martin-Busch-Hütte.

Die Martin-Busch-Hütte ist nur ein kurzer Stop bevor es weiter geht zum Similaun-Gletscher und der Similaunhütte. In letzterer beziehen wir Quartier. Eine gepflegte und tolle Hütte in privater Hand.

Über den Gletscher zur Similaunhütte.

Es ist unser letzter Abend in den Bergen. Die Gruppe spürt das und so stoßen wir bei Bier und Wein auf unsere bisherigen kleinen und großen Erfolge an. Fast wie eine kleine Familie sitzen wir im Gästeraum und freuen uns miteinander – bis der Hüttenwirt uns schließlich in die Nachtruhe bittet.

6.Tag: Von der Similaunhütte durch das Tisental zum Vernagt-Stausee

Aufstieg: kein – Abstieg: 1420 Hm (Gesamt: 5Std.)

Der Abstieg von der Similaunhütte ist ein Traum. Von Anfang an sehen wir den blau schimmernden Vernagt-Stausee. Er ist zum greifen nah – dennoch sind es es noch ein paar Stunden bis wir dort ankommen. Anfangs sehr steil geht das Terrain dann in flachere Gesteinsfelder und schließlich in strahlend grüne Almwiesen über. Murmeltiere sieht man hier zu Hauf. Überall huschen sie entlang oder strecken ihre Köpfe aus den Erdlöchern heraus.

Durch ein ein kurzes Waldstück laufen wir schließlich zum Vernagt-Stausee. Unserem ziel der Alpenüberquerung. Wir haben es geschafft. Freude und Leere überkommen mich als ich das blaue Wasser des Sees vor mir sehe. Es ist einigartig, wie man sich in wenigen tagen an all das hier gewöhnen kann. Der Bus wartet schon und ruft mich aufzubrechen. Es geht nach Meran. 

Meran ist eine tolle Stadt. Wir haben gutes Wetter und so können wir entspannt durch die Straßen flanieren und uns von den zurückliegenden Tagen erholen. Nach einem ausgiebigen Abend mit Übernachtung geht es am Folgetag mit dem Bus zurück nach Oberstdorf.

Fazit Fernwanderweg E5:

Die Alpenüberquerung von Oberstdorf nach Meran ist in meinen Augen ein Muss für Wander und Alpenfans. Die Dichte an tollen Erlebnissen, Wandergenuss und Regionen die man durchläuft ist nahezu unübertreffbar. Ich fand die Tour nicht sonderlich anstrengend und hatte auch nicht das Gefühl, dass unsere älteren Kollegen sich sonderlich strapaziert haben. Dennoch kann man sich durch ein paar intensivere Spaziergänge im Vorfeld etwas Tariningsvorteil verschaffen. Auf meinem Weg über die Alpen war ich in einer fantastisch durchmischten Gruppe. Vom 18 jährigen bis 70 jährigen war jedermann dabei -und gerade deshalb ist es schön, das Ganze geführt und in einer Gruppe zu machen – man ist nie allein und kann seine Erlebnisse teilen und muss sich nicht mit der Wegfindung beschäftigen. Das übernimmt ein Bergführer. Der ideale Zeitraum für die Alpenüberquerung war für uns Ende Juni. Genau dann, wenn die Bergsaison erst losgeht und viele Hütten noch geschlossen sind – dann ist das Wetter meist schon gut und in den Bergen noch besonders ruhig und angenehm.

 

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