Der Ortler gehört zu den schönsten und bekanntesten Bergen der Alpen. Der Normalweg hinauf zum Tiroler Bergkoloss ist einer der abwechslungsreichsten Aufstiege, die ich bisher erleben durfte. In einer Zweitagestour durfte ich bei bestem Wetter und mit Bergführer dieses anspruchsvolle Hochtouren-Wunderkind besteigen.

Sulden in Südtirol – Start am Langenstein Sessellift

Meine Bergtour startet mit einer langen Anreise. Etwas gehetzt stelle ich mein Auto direkt in Sulden an der Talstation des Langenstein Sesselliftes ab – übrigens kostenlos für alle die den Lift nutzen. Wenige Minuten später starte ich um Punkt 17.30 meine Tour an der Bergstation des K2 auf 2.300m. Ein erhofftes Kaltgetränk bekomme ich leider nicht mehr, das Restaurant hat schon geschlossen.

Ortler Übersichtskarte, Relief

Über die Tabarettahütte (2.550m) zur Payerhütte (3.029m)

Im Eiltempo folge ich der guten Beschilderung zu meinem ersten Etappenziel, der Tabarettahütte auf 2.550m. Der Weg ist im ersten Teil abfallend und schlängelt sich dann unmittelbar unterhalb der steilen Ortler Nordwand nach oben. Bereits hinter der ersten Kurve kann man die Tabarettahütte sehen. In Serpentinen geht es durch herrliche Grashänge hinauf. Das Wetter ist optimal. Im Schatten der Berge lässt es sich angenehm gehen, und ich bin nahezu allein. Tagsüber strömen hier förmlich die Menschenmassen zur beliebten Hütte hinauf – was mir mein Rückweg noch zeigen wird. Davon bekomme ich nicht viel mit – ich genieße kurz und entspannt mein kühles Wasser auf der Terrasse der Hütte, und breche dann auf zur Payerhütte.

Unterhalb der Ortler Nordwand. Aufstieg zur Tabrettahütte.

Ab hier wird der Weg deutlich rauer und steiniger. Von der Tabarettahütte aus kann man die Payerhütte bereits gut sehen. Sie thront gut 500hm über mir im Fels. Zum Greifen nah, aber der steile Weg fordert mir noch einiges ab. Bis zur Bärenkopfscharte, auf 2.850m, nochmal die Zähne zusammenbeißen, bis ich am oberen Grat von einem unfassbaren Panorama überrascht werde.

Kurz unterhalb der Bärenkopfscharte. Im Hintergrund thront der Ortler, direkt unterhalb die Payerhütte im Sonnenlicht.

Die Abendsonne, die sich bisher hinter dem Bergkamm versteckt hat, strahlt mich in voller Pracht und Wärme an. Von hieraus geht es immer direkt auf die Payerhütte entlang des Grates entlang. Teils mit Stahlseilen versichert erreiche ich über einen wunderschönen Gebirgspfad überglücklich mein heutiges Ziel: Die Payerhütte auf 3.029m.

Auf der Payerhütte – Vorbereitung für den Gipfel

Coronabedingt ist die Hütte mit nur etwas mehr als der Hälfte ausgelastet. Das Essen schmeckt fantastisch. Neben vegetarischen Nudeln bekomme ich sogar ein vorzügliches Tiramisu. Im riesigen Bettenlager werden die Abstände eingehalten. Ich schlafe allein auf einem Doppelstockbett. Zwei Betten breit, wird neben mir Platz freigelassen. Ich treffe vor dem Schlafengehen noch meinen Bergführer. Diesen Gipfel möchte ich schon allein wegen der vielen Gletscherspalten nicht solo gehen. Das wäre unverantwortlich. Er hat zudem die gute Idee, als eine der ersten am nächsten Morgen zu starten. Dafür opfere ich gern mein Frühstück und decke mich mit Riegeln und Waffeln auf der Hütte ein

Nach der Bärenkopfscharte werde ich am Grat zur Payerhütte von der Abendsonne begrüßt.

Ortlergrat – Klettern in der Dunkelheit

4.45Uhr. Vor uns sind nur wenige Lichter zu erkennen. Während in der Hütte noch fleißig gefrühstückt wird, packen wir bereits die ersten Kletterfelsen an. Die meisten stellen sind im 2.Grad und gut versichert. Die Schlüsselstelle markiert mit dem Weiberschreck das Wandl. Eine steile Wand, die mit einer Kette vergesichert ist und im Anschluss über eine drahtseilversicherte und leicht ausgesetzte Querung zum Ortlergletscher führt. Aber auch die Stellen vorab sind nicht zu unterschätzen, vor allem aber ist die Wegfindung nicht ganz leicht – spätestens hier bin ich dankbar für den ortskundigen Bergführer. Ständig wechseln wir am Grat von der linken auf die rechte Seite, gehen mal bergauf oder bergab. Ein kleines Labyrinth. Bei Tageslicht auf dem Rückweg werden wir die Pracht des Felsens nochmal in Gänze sehen können (Foto der Kletterstelle, siehe Ende des Artikels).

Das Bärenloch – unmittelbar nach den Kletterstellen legen wir Steigeisen an.

Ortlergletscher – Über Schnee und Eis zum Lombardi-Biwak (3.350)

Nach der letzten Kletterstelle, kurz unterhalb des Gletscher, legen wir unsere Steigeisen an und versichern uns mit einem Seil. Der größte Teil an Höhenmeter liegt noch vor uns – war doch der Ortlergrat vor allem ein ständiges Auf und ab, mit wenigen Höhenmetern. Über teils 45 Grad steiles Gelände und eine Eisrinne erreichen wir das Lombardi-Biwak auf 3.350m. Das Bärenloch, eine Stelle am Gletscher, hat nicht umsonst seinen Namen: die Gletscherspalten sind riesig, und wie ich von meinem Bergführer erfahre, ist der Gletscher selbst bis zu 100 Meter dick.

Oberhalb des Lombard-Biwak

Die Sonne geht auf und der Ortler Gipfelaufbau steht nun in greifbarer Nähe vor uns. Vorbei an einer letzten steilen und abschüssigen Stelle, wird das Gelände zunehmend ebener. Das Ortlerplateau ist erreicht und vor uns liegt das Ortlerauge – ein größerer Hügel direkt zwischen uns und dem Gipfel stehend.

Wir umgehen diesen mit ein paar Anstiegen und sehen nun den Gipfel direkt vor uns. Ein paar letzte Höhenmeter und der höchste Punkt Südtirols ist erreicht. Nach einem fantastischen Ausblick und beinahe allein am Gipfel, treten wir den Rückweg an. Nun kommen uns die Massen entgegen, und wir sind froh einen freien Abstieg ohne lange Wartezeiten zu haben – den vor allem an den Kletterstellen kann es mitunter zu langen Wartezeiten kommen.

Fast allein am Gipfel des Ortler, 3.905m

Daten und Zeitangaben zum Ortler Normalweg

  • Sulden (1.900m) – Sessellift Langenstein Bergstation (2.300m) : 15min Auffahrt 
  • Sessellift Langenstein Bergstation – Tabarettahütte (2.550m): 1h 
  • Tabarettahütte –  Payerhütte (3.029m): 1,5h
  • Payerhütte – Ortlergipfel (2h30min)
  • Ortlergipfel – Payerhütte Abstieg (1h30min)
  • Payerhütte – Sessellift Langenstein Bergstation: 2h

Rückweg: Blick auf eine der vielen ausgesetzten Kletterstellen am Ortlergrat.

 

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