„Kühne Bänder führen quer durch ein Felslabyrinth mit wilden, senkrechten Schluchten. Manche von ihnen erfordern absolute Immunität gegen schwindelerregende Tiefblicke.“ So lautete die Beschreibung im Reiseführer – für uns Grund genug, uns in das Abenteuer zu stürzen. Abenteuerlustig, sportlich, hochmotiviert – jung, unerfahren, naiv.

 Einer der erinnerungsträchtigsten Tage meines Lebens begann auf 2369m Höhe beherbergt in der Innsbrucker Hütte des Stubaier Höhenwegs. Sobald wir morgens vor die Tür traten, wehte uns ein kühles Septemberlüftchen um die Ohren. Noch bedeckten manch tiefer hengende Wolken das Ziel des Tages, das von manchen Punkten des Wegs aus sich schon erahnbar in die Höhe erstreckte.

Die Ilmspitze ist ein riesiges Felsmassiv, das sich zu großen Teilen senkrecht emporhebt und in der Umgebung der sanfteren Stubaier Berge einen kollosalen wenngleich auch respektvollen Eindruck hinterlässt. Sie bietet kaum Platz für Schneefelder, besitzt keine Grundlage für Vegetation, lediglich schroffe Steine säumen die Oberfläche dieses Kraters. 

Auf dem Weg kommen wir an einem Übungsklettersteig vorbei. Da wir alle drei noch recht unvetraut mit dem Material und dem Sicherungskonzept an sich sind, nehmen wir den Einführungskurs mit Freuden mit und werden schon an diesem Teil mehr gefordert als wir gedacht hätten. Nach gut einer Dreiviertelstunde ist der Übungssteig bewältigt und es kann weiter Richtung Ilmspitze gehen.

Der Einstieg in die Felswand

Wir staunten nicht schlecht, als wir um eine Ecke bogen und sich der Berg plötzlich vor uns auftürmte. Je näher wir herankamen, desto mächtiger wirkte er und insbesondere der Einstieg schien über 50-60 Meter senkrecht den Berg hochzuführen. Längere Zeit suchten wir den Fuß des Berges ab, weil wir nicht glauben konnten, dass der Klettersteig so steil bergauf führen würde.

 Leider hatte dieser herausfordernde Beginn, der gut 50 Meter unverändert schnurstracks nach oben führte, zur Folge, dass einer unserer Dreiergruppe höhenangstbedingt umkehren musste. Später dachte ich mir noch häufig, wie gut es war, diese Entscheidung schon an dem Punkt getroffen zu haben. Zwar war der Einstieg, zu dem man gut eine halbe Stunde lang durchweg direkt unter sich den Abgrund spürt, der angsteinflößenste Teil des Anstiegs. Jedoch benötigt man eine ungeahnte Ausdauer, muss durchweg konzentriert bleiben und immer wieder neuen kleineren und größeren Herausforderungen entgegentreten.

Ich hatte einen selten erlebten Spaß am Alpinismus. Wie oft war ich wandern, bin Snowboard oder Fahrrad gefahren und war klettern. Aber diese Stunden haben meine Vorstellung eines perfekten Bergtags übertroffen. Sportlich herausfordernd, landschaftlich einzigartig, abwechslungsreich, grenzwertig. Ich habe mich zwar zu jeder Zeit mehr als sicher gefühlt, trotzdem waren wir uns einig, dass dieser Tag einer derer ist, den man nicht allzu detailliert seinen Eltern berichten sollte. Zumal wir selber erst später lernten, eine Hand immer am Seil zu führen.

Auf dem Gipfel der Ilmspitze

Was für ein Moment als wir uns am Gipfelkreuz in die Arme nahmen, uns laut bejubelten und unsere Euphorie in den Augen ablesbar war. Noch wussten wir nicht, dass der Rückweg ähnlich schwierig, ähnlich anspruchsvoll, ähnlich gefährlich auf uns wartete. Müder und müder wurden die Knochen und die Vorfreude auf den Kaiserschmarrn zurück in der Innsbrucker Hütte wuchs. Trotzdem kostete man jeden Schritt aus, jeden Blick hinunter und rüber zu den anderen Bergen, jeden Griff an dem man sich festhielt, jede Sicherungspassage, an der man sich einhakte.

Immer wieder schauten wir zurück auf das, was wir an dem Tag geschafft hatten – ungläubig und ein bisschen stolz.

 

 

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