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Die heftigsten Stunden meines Lebens – Cotopaxi-Expedition 5.897m

Das Leben hat viele Facetten, und eine davon ist sicherlich auch das Leiden. Warum tun wir das und warum quälen wir uns auch noch freiwillig auf einen Berg? Einer der schönsten und höchsten Vulkane dieser Erde gab mir Antwort: Der Cotopaxi. Eine zehntägige Expedition, an den Grenzen der körperlichen Belastbarkeit.

Quo Vadis – Am Anfang steht das Gewissen

Ich sehe den Reiz immer im Extremen. Der Wunsch Berge zu besteigen ist tief in mir verwurzelt. Es ist wie eine Sucht – aber auch ein Ringen mit mir selbst. Und umso älter ich werde, umso stärker wird dieses Ringen. Während meine familiäre Verantwortung größer wird und Zeit immer wertvoller, beschleichen mich immer wieder Fragen und Zweifel: Warum gibst du Geld für Reisen in ferne Länder aus, anstatt es in deine Familie zu investieren? Und um dich dann einen Berg hoch zu quälen, mehrere Tage Urlaub zu vergeuden und am Ende doch nur auf einem Gipfel zu stehen? Denkst du nicht an deine Familie und was alles passieren könnte? Es ist eine schwierige Frage, womöglich eine der schwierigsten im Leben. Aber vielleicht hilft es euch, wenn ich euch einmal mit hinauf auf diesen atemberaubenden Gipfel nehme. Ein Berg wie der Cotopaxi ist unglaublich vielseitig und bedarf einer gewissenhaften Vorbereitung, hinsichtlich des Materials, der Physis und nicht zuletzt der Psyche.

Die Reise beginnt in dir selbst

Da stand ich nun im Nationalpark Cotopaxi, vor mir die riesige Urgewalt, der Cotopaxi. Nach gut acht Tagen in Ecuador habe ich zur Akklimatisierung vier Trainingsgipfel über 4.000m absolviert – der Fuya Fuya, 4263m / Pasochoa, 4200m / Guagua Pichincha, 4.784m / und schließlich der Illiniza Norte, 5126m (Alle Gipfel findet ihr auch als Einzelvideos im YouTube Kanal). Letzteren musste ich abbrechen, ein Magenkrampf machte mir einen Strich durch die Rechnung.

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Majestätisch ragt der Cotopaxi in den Himmel. Blick während unserer Eingehtour am “Pasochoa”

Dieses Scheitern nimmt mir die Leichtigkeit für das, was mir heute Nacht noch bevorsteht: ein 14-stündiger Gewaltmarsch durch Schnee und Eis. Und wieder holt mich die Angst ein, die Frage nach dem Sinn des Ganzen. Meinem Redepartner und Tour-Begleiter Peter geht es auch so. Er hat zwei Vorbereitungsgipfel nicht geschafft. Dass er noch schwächer ist und es dennoch versucht, gibt mir Hoffnung. Es ist wohl albern, so zu denken, aber hier oben schaltet sich manchmal das Hirn aus und man geht „Autopilot-gesteuert“ Richtung Ziel.

Es ist stockfinster. So finster wie in meinem Kopf zu jener Stunde. Die kleinen Stirnlampen meiner Teamkollegen schwirren wie Glühwürmchen aufgeregt durch unser kleines Zeltlager. Meine Gruppe wird schon jetzt aufgeteilt. Die letzten Tage haben uns zusammengeschweißt, wir kennen einander gut, wissen, wer welche Stärken hat und, dass wir uns aufeinander verlassen können. Stundenlang saßen wir schon zusammen, haben geredet, gelacht und unsere Erfahrungen verglichen. Wildfremde Menschen, die eine Leidenschaft teilen, gemeinsam auf Tour. Anderenorts wäre ich wohl nie auf Stephan getroffen oder Thomas. Das stundenlange Wandern, Bergsteigen und abends Zusammensitzen zwingt uns zum Austausch. Es vermittelte uns einen neuen, frischen Blickwinkel auf viele Dinge des Lebens. Manchmal dachte ich dabei an meine Schulzeit und Klassenfahrten. Alle waren wegen einer gemeinsamen Sache unterwegs, aber am Ende doch auf sich allein gestellt. Eigentlich schön, wieder so unter „Wildfremden“ zu sein.

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Wenigen Stunden vor dem Aufstieg. Unser Zeltlager im Nationalpark Cotopaxi.

Viel Bergerfahrung habe ich nicht. Zumindest nicht die von Thomas oder Jörg. Ich schaue ehrfürchtig zu den Älteren von uns auf, wie sie ihr Material begutachten. Ich bin aufgeregt. Eine letzte Mahlzeit, dann legen wir uns in unsere Zelte, zusammen mit unserem Seilpartner. Stephan. Ob er wohl schnarchen wird? Egal. Hörbuch hören. Kaum angefangen, spule ich schon zurück. Ich kann mich nicht konzentrieren. Es ist drei Uhr nachmittags. Wir gehen bereits jetzt schlafen, damit wir um 21.00 Uhr starten können. Die Nacht ist unsere Zeit. Dann, wenn die Luft am kältesten ist und den Gletscher hart gefrieren lässt.

Es geht los

Um 21.00 Uhr geht‘s los. Pro Zweierteam ein Guide, sechs Gruppen. Der erste Abschnitt bringt uns vom Parkplatz auf rund 4.500m zum Refugio Rosé Ribas (4.800m). Eine kurze Pause und die Kälte zieht uns durch Mark und Bein. Unser Guide warnt uns: „Ihr seid auf 5.000 Metern!“ Wer zu lange stehen bleibt unterkühlt schnell. Unsere Funktionskleidung ist so ausgewählt, dass sie uns optimal bei Bewegung schützt und warm hält. Ohne Bewegung reichen die einzelnen Schichten nicht mehr aus.

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Steigeisen anlegen. Auf 5.100m beginnt der Gletscher.

Gut 300 Höhenmeter weiter aufwärts legen wir die Steigeisen an. Auf 5.100m beginnt der Gletscher. Wir binden uns mit Seilen in Dreier-Gruppen zusammen und beginnen mit dem Aufstieg. Es geht geradewegs steil hinauf. Stephan blickt mich erschöpft an. Aber er läuft konstant. Etwas schneller als ich. Die erste große Biegung nach links. Der Hang fällt steil ab. Ein Fehltritt und es könnte unser Aus bedeuten. Die Lichtkegel vor mir zeigen mir, mit welchem Tempo die ersten vorangehen. Von den sechs Gruppen liegt nur noch eine hinter uns. Pause. Ich will nicht mehr. Immer wieder frage ich, wie weit es noch bis zum Gipfel ist und versuche, unseren Guide ein Argument zu entlocken, dass er mir die Anweisung gibt, wieder abzusteigen. Ich bin völlig erschöpft. 5.500 Meter. Minus 20 Grad. Die Lungen kratzen, ich kann kaum atmen. Meine Beine brennen vor Anstrengung. „Stopp!“ schreit unser Guide. Ich bin verwirrt. Über Funk gibt er etwas durch. Wenige Minuten später ist unser Gruppenleiter bei uns. Ich werde aus meinem Seil ausgehangen. Was ist los? Muss ich zurück? Die Gruppe hinter uns, zu der Peter gehört, wird ebenfalls ausgehangen. Unser Guide gibt uns Anweisungen, dann ist klar: Wir tauschen die Seilpartner. Ich und Peter sind zu langsam.  Ab sofort laufen wir, die Schwächsten, zusammen.

Schwäche und der tiefere Sinn

Nach etwa zehn Minuten gehen wir weiter. Peter macht keinen guten Eindruck. Er kommt noch langsamer voran als ich. Schnee peitscht in mein Gesicht und meine Augen. Der steile Abhang neben mir wirkt beängstigend. Und dann plötzlich: Peter klappt hinter mir zusammen. Erst hatte er wirres Zeug geredete, dann fing er an zu wanken, und am Ende fiel er mir halb bewusstlos in die Arme. Die Höhenkrankheit hat ihn voll erwischt. Der Sturm bläst unbarmherzig, die Nacht umgibt uns pechschwarz. Peter tritt nach wenigen Minuten Pause den Rückweg mit einem Bergführer an. Diese wenigen Minuten Stillstand in der eisigen Luft lassen mich beinahe auskühlen. Seit acht Stunden kämpfe ich gegen den eisigen Giganten. Aber ich gehe verbissen weiter. Nun bin ich mit dem Guide allein. Er hat fast alle Hoffnung in mich verloren. Bietet mir immer wieder an, abzusteigen. Nicht mit mir, ich will es unbedingt schaffen! Meine Trinkflaschen sind zugefroren. Jetzt gibt es nur noch Tee aus der Thermoskanne. Zittrig ziehe ich meinen Handschuh aus, um den Deckel abzunehmen. Da fliegt der Handschuh den Hang hinab. Ich schreie. Ohne Handschuhe hat man hier oben keine Chance. Die Kälte lässt die Hand erfrieren, geschweige denn einen Eispickel halten. Mein vorausschauender Guide reicht mir seine Ersatzhandschuhe. Glück gehabt! Das nächste Mal nähe ich sie fest.

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Meine Kamera versagt, die Linse füllt sch mit Wasser. Der Temperaturunterschied zwischen meinem Körper und außen ist zu groß.

Während wir weiter Richtung Gipfel gehen, wird es langsam hell. Noch ist die Sonne nicht zu sehen. Die Berge um uns werden immer besser erkennbar. Ein erneuter Schub von Euphorie beflügelt mich. Ich mache ein Foto. In wenigen Sekunden ist die Linse mit Wasser vollgelaufen und beschlagen. Der Druck und der Temperaturunterschied meiner warmen Jack zur klirrend kalten Außenluft ist einfach zu groß. Nach nur zehn Sekunden versagt der Akku. Ich laufe weiter. So ein Mist, nicht mal fotografieren kann ich hier oben.

Die Traverse zum Gipfel ist richtig steil. Ich krabbele nun auf allen Vieren. Erste Sonnenstrahlen kämpfen sich goldgelb durch die Wolkendecke. Sie stechen in meinen Augen und machen mich fast blind. Wie ein Wurm vor dem Schöpfer krieche ich auf dem Schnee den steilen Weg nach oben. Ein letztes Mal hacke ich meine Eispickel in den Schnee und setze dann endlich meine Füße auf das weitläufige Gipfelplateau des mächtigen Berges. Mein Herz schlägt schneller, der Puls rast, ich habe den entbehrungsreichen Aufstieg, insgesamt knapp 1.400 Höhenmeter, geschafft!

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Der Schlot des riesigen Vulkans scheint mich beinahe zu verschlingen. Leicht taumelnd blicke ich um mich. Die Wolken verdichten sich und schweben unter mir. Auf knapp 6.000 Metern stehe ich nun, der erschöpfte und zugleich stolze Gipfel-Eroberer. Meine Augen tränen vor Freude.

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Der riesige Krater des Cotopaxi.

Wie durch ein Wunder tut sich der Himmel vor mir auf, öffnet theatralisch seinen Vorhang, zeigt mir zwischen all den Wolken eine kleine Oase: Das tiefblaue Meer. Es scheint unwirklich und so weit weg. Von meinem Gipfelthron wirkt es eher wie eine Pfütze. Eine Schale, aus der ich trinken soll. Es gibt mir Kraft zum Aufstehen und für den Rückweg. Ich fühle mich mächtig nach den wohl heftigsten 10  Stunden der letzten Jahre. Danke Meer, dass du heute so klein bist!

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Die Spitze des Cotopaxi wirft einen Schatten auf die Wolken.

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5 Comments

  1. Was für ein spannendes Erlebnis! Herzlichen Glückwunsch, großen Respekt und gut, dass Du es heil überstanden hast!!!

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  3. How can I help you?

  4. Vielen lieben Dank 😀

  5. Klasse! Cooler Blog! Ich muss öfters mal hier vorbeischauen.Du schreibst wirklich gute Artikel! Gruß Alexander

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