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Zwischen Angst und Euphorie: Mein erster 6.000er, Huayna Potosi

Der erste 6.000er in meinem Leben. Etwas Besonderes, dessen war ich mir sicher. Es gibt so viel zu beachten bei der Vorbereitung einer solchen Tour, aber irgendwie habe ich genau das nicht getan. Vielleicht das beste Mittel gegen Angst. Oder war es doch Wahnsinn?

Bolivien, La Paz, Oktober 2013. Ich komme total verschlafen in der höchstgelegenen Hauptstadt der Welt an. Nach Tagen des Reisens und Wanderns durch Peru möchte ich hier das Hochgebirge genießen. Doch viele Tage bleiben mir nicht. Vier, wenn man es genau nimmt. Der Vorteil: Hier in Bolivien ist man schon auf knapp 4.000m  – Dort wo die Alpen bei uns in Europa aufhören, beginnt hier das Leben. Ich blicke mich um. Überall hupende Autos und ein Übermaß an Angeboten möglicher Tourenanbieter. Ich muss mich entscheiden und zwar schnell.

Huayna_potosi_panorama

Blick auf den Huayna Potosi. Von hier sieht er so klein und “einfach” aus.

Und dann lächelt mich dieser Berg an, mit seinen stolzen 6.088m. Ich bin hin- und hergerissen. So was habe ich noch nicht gewagt. Und wenn ich mir mitunter die Büros ansehe, in denen man Expeditionen wie diese buchen kann, ist mir dabei auch nicht ganz geheuer. Schnell googlen, schnell nach Referenzen sehen, schnell ein passendes Büro raussuchen. Ich haste durch die Straßen, mehrfach verlaufe ich mich mit meiner zerknitterten Stadtkarte in dem Gewirr – doch endlich finde ich wonach ich suche. Ich buche gleich/sofort. Einfach so. Drei Tage. Drei harte Tage. Als ich nach Hause in meine Unterkunft trotte denke ich immer wieder an meinen Fuß. Er ist vom Wandern der letzten zwei Wochen überlastet, womöglich verstaucht und tut etwas weh. Oh je.

Ob das Material nicht zu alt ist? Meine Ausrüstung für den langen Weg.

Ob das Material nicht zu alt ist? Meine Ausrüstung für den langen Weg.

Tag 1: Heute geht es los. Mein Bergführer heißt Carlos. Neben mir fährt noch ein Spanier mit. Beide um die 50. Wir können uns alle drei nicht unterhalten. Keiner spricht die Sprache des anderen. Carlos hat etwas brüchiges Englisch drauf, das muss reichen. Wir kleiden uns in einem kleinen Lager am Rande der Stadt mit Gamaschen, Bergstiefel, Hosen, Jacke und Eispickel ein.

Hotel_Refugio_Huayna_Potosí

Weiter geht’s mit dem Jeep zum ersten Lager, das Bergsteiger Hotel Refugio Huayna Potosí. Es ist langweilig hier. Ich will schnell los, bin ungeduldig. Endlich Action: Gletschertraining. Nach ein paar Stunden im Eis ruhen wir uns wieder aus. Nochmal Langeweile. Da wir am Abend kein Feuerholz haben zerlegen wir mit einer Axt einen alten Sessel. Als das Feuer abgebrannt ist merken wir wie schnell die Temperatur sinkt. Schlafenszeit.

Mein spanischer Begleiter und ich beim Gletschertraining

Mein spanischer Begleiter und ich beim Gletschertraining

Tag 2. Wir verlassen das Camp am Mittag und laufen durch Schneeregen, Regengüsse und Nebel. Es ist sehr kräftezehrend. Der Anstieg ist steil und Carlos treibt uns zügig nach oben. Zwischendrin werde ich immer wieder wütend und versuche unseren Trupp ein wenig abzubremsen. Bereits hier macht sich die Höhenluft bemerkbar. Dennoch: Ich bestehe darauf mein gesamtes Gepäck allein zu tragen.

Huayna_Potosi_Aufstieg

Das Wetter wird noch schlechter. Durch Schneestürme kämpfen wir uns hinauf zum Camp Alto Roca, auf 5.130m.  In dem kleinen Hüttchen möchte ich eine Rast einlegen. Carlos versucht mich davon abzuhalten. Er möchte weiter. Ich erkämpfe mir trotzdem eine Tasse heißes Wasser von dem freundlichen Hüttenbetreiber. Vorort treffen wir auf eine ausländische Gruppe, die wie wir am Folgetag mit dem Gipfelsturm beginnen wird.

Huayna_Potosi_Aufstieg_Strum

Schnee und Wind kommen und gehen so schnell, das wir Probleme haben uns darauf anzupassen.

Wir steigen weitere 15min aufwärts zu einem iglu-artigen Metallgebäude mit kleinem Anbau. Hier werden wir heute übernachten. Ich bin kaputt, die Höhenluft raubt mir die letzte Kraft. Die Akklimatisierung der letzten zwei Wochen auf über 3.000m haben sich zwar ausgezahlt aber es ist dennoch anstrengend. Kaum sind wir angekommen zeigt sich die Sonne. Ich bin glücklich und freue mich mit meinem spanischen Begleiter. Trotz unserer Sprachbarriere unterhalten wir uns mit Händen und Füßen und genießen den prächtigen Ausblick. Ich bin voller Euphorie und glaube fest daran es morgen zu schaffen. Bereits um 23Uhr gehen wir ins Bett. Ich bekomme kein Auge zu.

Huaya_Potosi_Lager_iglu

Tag 3: Wer auf über 5.000m unterwegs ist lernt etwas gleich zu Beginn: Es geht sehr sehr früh los. Der Huayna Potosi ist aufgrund seines günstig gelegenen Basislagers noch human mit 1 Uhr morgens. Der Cotopaxi in Ecuador lehrte mich Jahre später, dass es auch noch früher geht. Wir starten. Ich bin so aufgeregt, dass mir die Knie zittern. Hinaus in die finstere Nacht. Carlos, der Spanier und ich in einer Dreierseilschaft. Ein paar Stirnlampen sieht man hier und da aufblitzen. 

Pechschwarze Nacht und Stille. Etwas Licht im Dunkeln.

Pechschwarze Nacht und Stille. Nur die Stirnlampen bringen Licht ins Dunkel.

Wir sind nicht allein. Wir kämpfen uns langsam den Berg hinauf. Mein Körper streikt wegen der bevorstehenden Strapazen und würde am liebsten umkehren. Ich beiße mich durch. Ab und an sieht man am Wegesrand bleiche Gestalten sitzen, einige kehren um, andere rappeln sich wieder auf, manche hecheln wie ich um Luft. Immer wieder bekomme ich Angst. Insgesamt sind etwa zehn Leute am Berg plus Bergführer.

Huayna_Potosi_beschwerlich

Kurz vor dem steilen Gipfelanstieg.

Es wird immer steiler. Auf einmal versammeln sich Bergsteiger vor uns in einer Gruppe. Sie warten darauf die vor ihnen liegende Schneewand besteigen zu können. Es staut sich. Sie sieht für mich mega hoch aus. Wir klettern in unserer Dreiseilschaft. Es ist dunkel und ich sehe fast nichts. Eigentlich ein Albtraum, man hat Angst in den dunkeln Abgrund zu fallen. Ich ramme meinen Eispickel in die Wand. Carlos zieht mich weiter nach oben, er ist schneller, geübter. Ich rufe immer wieder „Stop“. Doch es muss weitergehen. Umso länger wir hängen umso weniger Kraft haben wir am Ende. Mein Arm fällt mir fast ab. Ich wage nicht nach unten zu sehen. Oben angekommen werde ich belächelt.

Huayna_Potosi_Sonnenaufgang

Der Sonnenaufgang zaubert in die bedrohliche Dunkelheit eine unglaubliche Kulisse.

Die Sonne geht auf. Ein kleines Trostpflaster. Es ist so schön, dass ich am liebsten heulen würde. Ich merke allmählich wie mich die Höhenluft immer mehr beeinflusst, nicht nur körperlich, sondern auch emotional. Ich fühle mich leicht und voll und ganz in diesem Augenblick. Ich verweile kurz.

Carlos zerrt mich weiter. Nachdem ich mehrfach und immer wieder um Pausen gebeten habe, rasten wir kurz. Carlos gibt uns beiden eine Kopfschmerztablette, zumindest denke ich, dass es eine ist. Wir gehen weiter. Mittlerweile sind wir allein am Berg. Die anderen drei Gruppen haben aufgegeben. Die Aufregung in mir steigt umso mehr. Ich bin stolz einer von denen zu sein die „noch übrig sind“.

Kurze Pausen, für mehr ist keine Zeit.

Kurze Pausen, für mehr ist keine Zeit.

Der Gipfel liegt vor uns. Ab jetzt wird es steil. Eine Eisplatte von mehreren Metern muss ich hinaufklettern, um auf den Gipfelgrat zu gelangen. Ich bin verzweifelt. Am Ende. Rechts uns links geht es steil bergab. Carlos beschimpft mich als Weichei. Es bietet sich an hier zu verharren und den Spanier und Carlos allein weitergehen zu lassen. Aber Carlos lässt sich darauf nicht ein: entweder alle oder gar niemand. Ich erschaudere vor Angst. Eine französische Seilschaft kommt uns entgegen. Der Franzose ist ganz fröhlich und sagt, dass es jetzt endlich spannend werden würde mit dem Aufstieg, da man auch mit den Händen arbeiten müsste. Ich male mir das Ganze aus und sehe den schmalen steilen Gipfelgrat vor uns. Wieder durchzieht ein Angstgefühl meinen ganzen Körper. Wir essen kurz etwas an der steilen Wand und gehen dann weiter. Der Weg ist gerade mal so breit wie ein Paar Schuhe.

Huayna_Potosi_ridge_ascent_Lochner

Der steile und schmale Gipfelanstieg fordert nochmal volle Konzentration.

Während wir auf dem schmalen Pfad, bei dem jeder Fehltritt ernsthafte Folgen haben könnte, dem Gipfel näher kommen, frage ich mich immer wieder warum ich mir da alles antue. Mit zitterndem Köper aber voller Entschlossenheit betrete ich das kleine Gipfeplateau. Wir sind allein. Die Aussicht ist atemberaubend.

Gipfelglück auf dem winzigen Plateau.

Gipfelglück auf dem winzigen Plateau.

Nach wenigen Minuten bittet Carlos wieder zum Abstieg. Ich soll vorne gehen. Ich dachte ich höre nicht recht. Aber der Schwächste muss zuerst. Immer wieder schimpft er mit mir, was ich für ein Versager sei. Als wir den gefährlichen Gipfelgrat verlassen bin ich heidenfroh. Ab jetzt, sage ich mir, wird es entspannt. Wir laufen gemächlich nach unten. Jetzt sieht alles ganz anders aus als in der Nacht. Es wird immer heißer, ich beginne zu schwitzen. Der weiße Schnee macht uns fast blind. Meine billige, nur geborgte Sonnenbrille von Carlos schützt nur bedingt. Es ist ein langer Weg abwärts. Wir haben es geschafft, wir waren oben. Die letzten Meter zum Refugio sind eine Qual aber eine schöne Qual.

Kaputt aber glücklich beim Abstieg. Die Sonne zieht unerbittlich Energie.

Kaputt aber glücklich beim Abstieg.

Artikel und Video von: David Lochner

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6 Comments

  1. Toller Artikel! Er macht echt Fernweh und große Lust, genau diesen Gipfel zu erklimmen!! So sehr man sich auch hochquält, oben angekommen weiß man, warum :))

  2. Hi,

    aufregende Tour, gut beschrieben. Aber Dein Bergführer ist nicht ganz so nett gewesen kommt mir vor, da hättest Du Dich ruhig mal beschweren können. Beschimpfungen sind jetzt ja nicht wirklich angenehm.

    Oder selber so viel trainieren, dass Du keinen Bergführer mehr brauchst…

    LG Sabrina

  3. Eva

    Hallole,
    ich bin immer noch total beeindruckt. Sowas finde ich klasse.

    Lieben Gruß Eva

  4. Danke liebe Eva. Ich finde es klasse, dass dir der Artikel gefallen hat.

  5. Hallo liebe Sabrina, danke. DU hast Recht, ich hätte mich mal beschweren sollen. Aber irgendwie wollte ich im Anschluss nur noch weg. Ich glaube, dass die Bergführer mitunter nur genervt sind von den vielen “Bergtouristen” die sich auf die großen Berge trauen um Abenteur zu schnuppern. Auf der anderen Seite sollten Sie sich vielleicht nen anderen Job suchen, wenn sie so drauf sind. Egal, Ich habe dem Bergführer kein Trinkgeld gegeben, wie es sonst wohl üblich ist. Das war meine Antwort.

  6. Hallo Marit, danke für das Kompliment. Es klingt so, als hättest du Erfahrung mit Bergen 😀 Hab ich Recht?

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