Nach vielen Tagen abenteuerlicher, beschwerlicher aber unglaublich eindrucksvoller Anreise durch die unendlichen Tiefen der russischen Wälder, haben wir unser erstes Etappenziel erreicht: den Fluss Uls. Nun Endlich, unsere Kanuwanderung kann beginnen.

Vorbereitung im Camp

Der Start unserer Kanuwanderung beginnt am Fluss Улс (Uls). Dieser ist ein Zufluss in die Вишера (Wishera) und mündet ziemlich genau bei etwa der Hälfte des Flusses.

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Unser erstes ausführliches Camp in der Wildnis

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Feuerholz für schlechte Zeiten

Der Plan war es, die Boote weiter unten in den Strom des Wasserfalls Zhigalan reinzulegen und zwei Kilometer in östliche Richtung bis zum Uls zu schieben – bestenfalls zu paddeln. Aber das Wasser war zu niedrig und wir müssen das ganze Gepäck die kompletten zwei Kilometer den Fluss entlang durch den Wald tragen. Weil der dazugekommene Proviant locker 20-30kg schwer war, musste der Weg gleich zwei Mal zurückgelegt werden. Ja, leidensfähig sollte man sein. Dafür fanden wir eine ideale Stelle um Feuer zu machen und ein paar improvisierte Sitzbänke aus Baumstämmen. Solche Kleinigkeiten haben unsere Laune maßgeblich in die höhe schießen lassen.

Das Wetter hielt noch ein paar Tage an. In den Nachrichten, die wir vor der Abfahrt noch intensivst gehört hatten, redete man von einem Sturm, der uns wohl streifen sollte. Natürlich hat man uns immerzu abgeraten unter solchen Bedingungen zu in die Wildnis zu reisen.  Aber wir wollten ja nicht hören. Dadurch, dass wir unsere “German Befindlichkeiten” schon irgendwo während unserer strapaziösen Anreise verloren hatten, war uns das fast egal und wir bereiteten uns auf schlechtere Zeiten vor. Schlimmer als alles andere war jedoch die Tatsache, dass ich schon während der Zugreise krank geworden bin. Dieser Zustand hat bis zum Schluss der Reise angehalten und mich zusätzlich zermürbt. Aber abbrechen stand einfach nicht zur Debatte. Ich wusste, das würde ich bereuen.

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Los gehts!

Der Fluss Uls war eher ein Bergbach. Niedrig und steinig. Oftmals mit wenig Wasser, sodass „Kajakschubsen“ die Regel war. Das Wetter war Anfangs noch angenehm und stimmte uns optimistisch. Wir wurden jedoch schnell eines besseren belehrt. Der Regen, der uns den Rest der Reise begleitete, verbesserte zwar den Wasserstand zu unseren Gunsten, aber dafür wurde es kälter und nasser. Schöne Fotos konnte ich demnach auch nicht mehr machen.  Und während ich mich halb durchfroren fragte, warum ich all das hier ertrage, denke ich immer wieder an meine Thermoskanne, die irgendwo beim Verladen des Rucksacks verloren gegangen ist. Neben all dem Gejammer funktionierten zumindest unsere Paddeltechniken, sodass wir gut voran kamen.

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Kälte, Nässe und der zerplatze Traum von Einsamkeit

Unser Wunsch in völliger Einsamkeit zu Paddeln konnte erschreckenderweise nicht ganz erfüllt werden. Auf dem Fluss trieben Studenten ihr Unwesen und absolvierten mit ihren Kursleitern, ebenso wie wir, eine Flusswanderung. Beide Parteien, sowohl wir als auch sie, wollten keinen stören und so ging die Kontaktaufnahme über ein „Privet“ (Russisch für “Hallo”) nicht merklich hinaus. Mal wurden wir überholt, mal sie. Erst als einer der Katamarane unterwegs einen ernsthaften Schaden erlitten hatte und wir zu Überbringer der schlechten Nachricht an Katamaran 1 auserkoren wurden, haben wir uns halt doch alle miteinander bekannt gemacht und hatten von nun an Reisebegleitung, die uns Anfangs sogar einen Tag voraus war.

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Das Wetter wurde mit der Zeit richtig mies und wirkte bei der Landschaft einfach nur bedrohlich. Nach mehreren Tagen Regen und Temperaturen von manchmal nur zehn Grad, sank die Laune förmlich auf einen Nullpunkt. Kälte, Nässe, Passagen aus dem man das Kajak wieder herausziehen musste, setzten uns extrem zu. Meine Krankheit machte das alles nicht besser. Die Schwimmweste fungierte mittlerweile als Wärmeisolation, die ich auf keinen Fall mehr entbehren wollte. Aber es gibt aus dieser Situation kein Entkommen. Die weitläufige Landschaft zwingt uns dazu das Beste draus zu machen……Zelt aufbauen, Feuer machen, Wodka trinken, Wäsche trocknen.

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Essen kochen!

Während draußen der Regen nachlässt, bessert sich unsere Laune, sodass ich beschließe noch etwas Holzhacken zu gehen. Man weiß ja nie. Schon bald würden wir den nächsten großen Fluss erreichen, an dem auch schon die ersten Siedlungen liegen. Hoffnung.

Der Fluss Wishera

 Wishera gilt ab der Mitte, (hier fließt auch der Uls in die Wishera) eher als „vielbefahren“ und als „Touristengebiet“. Zwei bis drei Menschen sieht man am Tag auf jeden fall. Nicht weit entfernt ist die Derewnja „Vaya“. Hier kann man schon mit dem Auto anreisen, was für weniger ambitionierte Paddler-Gruppen eine gute Möglichkeit darstellt für einige Tage abzuschalten, ohne viel Stress zu haben.

In dieser Woche war jedoch die gesamte Straße ein einziger Haufen Matsch, auf dem sich nicht mal mehr Offroad-Fahrzeuge fortbewegen konnten. Laut unserer Routenplanung wäre spätestens hier die erste Möglichkeit gewesen den Fluss zu verlassen und abzubrechen, was wir aber nicht wollten und ohnehin nicht konnten, weil schon seit Wochen kein Auto mehr gesichtet wurde.

In einer kleinen Holzhütte versicherte uns eine Frau Deutsches, frisches Importbier bekommen zu haben, das “Гамбургское” hieß, was soviel heisst wie: Bier aus Hamburg. Mitten im nirgendwo. Warum sollte es ausgerechnet hier Hamburger Bier geben? Ich wusste das es Quatsch war, lächelte sie an und packte das “Originalgebräu” ein. Was mich zu der Überzeugung führte in Russland doch lieber bei Wodka oder Spiritus zu bleiben.

Kontakt mit der Zivilisation. Ein kleines Dorf irgendwo im Nirgendwo

Kontakt mit der Zivilisation. Ein kleines Dorf irgendwo im Nirgendwo

Regen Kälte und Nässe hielten an. Unsere neuen Wegbegleiter, die wir irgendwann wieder eingeholt hatten, witzelten über unsere Kajaks, die aussehen wie zwei „Mistral Raketen“ (Mistral ist der Name des Hubschrauberträgers, den die Franzosen an Russland verkaufen sollten, bevor die Ukraine Krise losging). Überhaupt ist unsere neue Reisebegleitung an guter Laune nicht zu übertreffen. Trotz schlechtem Wetter wird gesungen, gelacht und man hat eine Menge Spaß. Am Abend profitierten wir von der Kettensäge, im Gegenzug luden wir alle herzlich dazu ein in unserem Zelt am Feuer zu sitzen und sich aufzuwärmen. Das gefiel allen so gut, das die gar nicht mehr raus wollten.

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Überhaupt ist die Neugierde der Gruppe recht groß. Was machen die Deutschen hier in der Wildnis? Braucht man für Russland ein Visum? Diese zahlreiche andere Fragen gilt es zu beantworten, bis eine Kommunikation in zwei Richtungen überhaupt erfolgen kann. Unser Equipment ist genauso interessant wie alles andere und versetzt alle in Erstaunen. Fast schon fühlen wir uns wie ein Museum der Moderne, oder so in etwa.

Wir ziehen vorbei an längst verlassenen Ortschaften, die Früher nur deshalb existierten, weil der Fluss für den Holztransport verwendet worden war, an massiven Felsformationen, die früher von den Steinzeitmenschen zur Kommunikation verwenden wurden. Und tatsächlich kann man die eine oder andere Zeichnung von damals noch bewundern. Vieles wurde aber auch einfach schon zerstört. Leider.

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Der Fluss Wishera

Je näher wir zum Ausstiegspunkt kommen, desto mehr Leute sieht man. Die letzte Haltestation (8 km vor Krasnowishersk) steht einem Campingplatz in nichts mehr nach. Hier treffen sich unglaublich viele Leute, um für ein bis zwei Tage zu trinken und sich ohne große Anstrengung zu erholen. Wir hingegen nutzen das gute Wetter zum Trocknen von Klamotten und für Wanderungen. Eine Banja darf natürlich auch nicht fehlen. Hierfür wird ein großer Haufen steine vier Stunden lang heiß gemacht, um dann später eine Plane drüber zu stellen und sich kollektiv drin zu wärmen und sich mit Birkenästen zu „schlagen“.

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Steine erhitzen für die Banja

Unsere neue Gruppe praktiziert seit jeher ein Ritual: Anfänger, die das erste mal in der russischen Wildnis unterwegs sind, müssen “getauft” werden. Weil wir nun als ein Teil der Gruppe angesehen worden waren und das ebenso unser erstes mal war, musste auch wir da durch. Es galt unter den Katamaran unten durch zu kriechen, dabei wurde das Ding aber Richtung Wasser geschoben, sodass man gar keine andere Wahl mehr hatte als den Katamaran auf der anderen Seite durch das Wasser zu verlassen. Als Belohnung gab es einen Schluck aus der Wishera, ein Foto in der Telnjashka und ein Abzeichen, als Erinnerung.

Unsere Weggefährten bieten uns an, mit nach Perm zu kommen. Wir schlagen nicht aus und beenden unseren Trip nach nun nach gut zwei Wochen. Durch den Regen und die Strömung sind wir zu schnell vorangekommen, sodass noch viel Zeit für anderen Unfug blieb. Ich lüge nicht, wenn ich sage das wir bis hierhin viele neue Freunde gewonnen haben und sie heute noch besuchen kommen. Mittlerweile sind die jedoch so zahlreich, das ich nur noch mit unbezahltem Urlaub hinterherkomme.

Abschied nehmen

Abschied nehmen

Fazit: Was würde ich heute anders machen?

Die Kilometer die man an einem Tag zurücklegen kann, wenn man nur will, habe ich unterschätzt. Das schnittige Kajak ist in der Lage bei guter Strömung 60km am Tag zu machen. Da schmelzen die ~200km nach Wunsch schnell dahin, sodass man sich schon fast bremsen musste. Gut gefallen hat mir die Tatsache, dass wir in unserem Baumwoll-Zelt tatsächlich mal ein Feuer machen konnten – das ist ein großes Plus – vor allem wenn das Thermometer draußen auf fünf Grad absinkt.

Das Zelt und das Kajak hat super durchgehalten. Das die Sackkarre ein Loch in den Boden des Kajaks riss, habe ich eher meiner Unachtsamkeit zu verdanken. Man sollte halt keine spitzen Gegenstände am Boden lagern. Das Zelt (Tentipi 5) lässt sich ohne Zeltboden aufbauen, alternativ kann man sich natürlich so einen Zeltboden kaufen und auslegen – funktioniert auch gut, aber mit der Zeit laufen dennoch Ameisen und Zeug im Zelt herum. Das liegt daran, dass der Zeltboden einfach ausgelegt wird und nicht zum Zelt aufschließt. Es muss in Zukunft also ein Innenzelt her.

Ansonsten hat sich Unterwegs vieles bewährt und es war die richtige Entscheidung auf aufblasbare Isomatten zu verzichten.  Diese gingen auf einer anderen Touren häufiger einfach kaputt. Packmaß hin oder her – Unterwegs muss man sich auf alles verlassen können.

Weil der Transport von Gaskartuschen im Flugzeug eher problematisch ist, habe ich schon lange keinen Gaskocher mehr im Gepäck dabei. Sollte es also möglichst schnell gehen, greife ich auf meinen Hobo-Kocher zurück.

Kosten und Planung:

Die Kosten halten sich eigentlich in Grenzen. Die Tatsache das wir alles selbst geplant und organisiert haben, drückte den Preis natürlich sehr stark nach unten. Für ca. 1500€ pro Person war der Urlaub somit in voller Gänze realisierbar.

Die Ideen bezog ich seinerzeit aus russischen Foren. Die Anreise selber war ungeplant und voller Fragezeichen. Hätte genauso gut nach hinten losgehen können. Ein Plan B war somit immer in der Hinterhand.

Russisch sollte man können. Nur so haben sich zahlreiche schwierige Situationen überhaupt bewältigen lassen. Vorallem im Hinblick auf den Transport. So erfährt man z.B. erst auf Anfrage ob die Busse (die wir auch genutzt haben) für große Mengen an Gepäck ausgelegt worden sind. Schlimmstenfalls hat man es nicht gewusst und wird angepampt, da sollte man schon wissen was abgeht.

Gedanken zum Schluss:

Beeindruckt hat mich vorallem mit welcher Selbstverständlichkeit unsere Russischen Weggefährten alles ertragen haben was das Wetter hergibt. Während die hiesige Outdoor-Industrie uns vor jedem Wetter “schützen” möchte und hochtechnisierte Kleidung auf den Markt wirft, hämmert mir eine Aussage von einem unserem Begleiter immer noch im Hinterkopf: “Natürlich schützt die Regenjacke nicht vor Regen, aber vor Wind und somit ist mir warm”. Da ist was dran.

Die Ausrüstung der Gruppe war nach unseren Maßstäben eine Katastrophe (Kettensäge, undichte Zelte die mit einer Plane nochmal abgedeckt worden sind, Sense, Schaufeln) und Gewicht schien kein Kriterium zu sein. Aber keiner hat diesen Umstand beweint. Das hat mir viel zum denken gegeben und meine zukünftigen Reisen maßgeblich beeinflusst.

Heute sind Touren mit viel Gepäck entspannt geworden. Natürlich ist alles unkomfortabel, aber im Nachhinein denke ich nicht mehr darüber nach was ich wie geschleppt habe, sondern wo ich damit gewesen bin und welche Erfahrungen ich dabei für mich herausholen konnte. Darum geht es doch letzendlich auch.

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